Interview mit Sven Ruschhaupt, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim
Herr Ruschhaupt, die Handwerkskammer begleitet das Projekt GenerationenWerkstatt“ von Anfang an. Wie hat sich das Projekt aus Ihrer Sicht entwickelt?
Wir sind seit vier Jahren Projektpartner und engagieren uns gemeinsam mit der Ursachenstiftung dafür, dieses neue Format an die Betriebe heranzutragen. Ich persönlich hätte am Anfang nicht gedacht, dass sich das Projekt so erfolgreich entwickelt und so viele Betriebe im gesamten Kammerbezirk dieses Angebot in Anspruch nehmen. Die guten Erfahrungen der Unternehmen sprechen sich offenbar herum. Es macht großen Spaß, dieser kleinen Pflanze, die wir damals gesetzt haben, beim Wachsen zuzusehen.
Zunehmend öffnen sich auch Gymnasien für die „GenerationenWerkstatt“. 2016/17 fanden die ersten drei Projekte mit Gymnasiasten statt. Was halten Sie davon?
Wir fordern schon seit langer Zeit, dass die Berufsorientierung an Gymnasien deutlich ausgebaut werden muss. Deshalb hat die Handwerkskammer eine ganze Reihe von Kooperationen mit Gymnasien im gesamten Kammerbezirk geschlossen. Die Klientel an Gymnasien ist genauso für das Handwerk prädestiniert wie für jeden anderen Wirtschaftszweig. Insofern ist es sehr wichtig, dass wir auch die Gymnasien mit im Boot haben, um den Schülern eben nicht nur eine akademische Ausbildung, sondern auch eine duale Ausbildung nahezulegen. Das ist heute wichtiger denn je, da die Gesellschaft jungen Leuten vermittelt, dass man allein mit Abitur und Studium erfolgreich sein kann. Das entspricht so nicht der Realität. An den Gymnasien steigen die Schülerzahlen, während Realschulen Oberschulen immer weniger Anmeldungen haben. Viele quälen sich auf dem Gymnasium, meist auf Drängen der Eltern, obwohl sie eigentlich lieber etwas Praktischen machen würden. In der GenerationenWerkstatt können diese Schüler zum ersten Mal ihren Neigungen nachgehen und entdecken, was wirklich in ihnen steckt.
Stellen Sie sich vor Sie wären Berufsberater an einem Gymnasium und wollten Schüler von einer Ausbildung im Handwerk überzeugen. Was würden Sie ihnen sagen?
Eine handwerkliche Ausbildung bietet hervorragende Perspektiven, weil sie einen Grundstock an Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt, die nicht nur im erlernten Beruf, sondern auch im Leben enorm wichtig sind. Mit der 3 oder 3,5-jährigen Ausbildung endet die Karriere außerdem nicht: Es gibt eine große Bandbreite an Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die Meisterausbildung etwa, die auf die Leitung, Übernahme oder Gründung eines Betriebs vorbereitet. Außerdem gibt es letztlich nichts Schöneres als zu sehen, welches Tagwerk man mit Kopf und Händen für seine Kunden erbracht hat und dafür unmittelbar Feedback zu bekommen. Das gibt es in vielen anderen Berufen in der Form nicht. Die Zufriedenheit im Job ist im Handwerk höher als in anderen Wirtschaftszweigen.
„Abiturienten gehen für zwei bis drei Jahre in die Ausbildung und sind danach weg“, lautet eine weit verbreitete Auffassung. Was hat das Handwerk davon, Gymnasiasten unter Vertrag zu nehmen?
Diese Befürchtung kenne ich auch. Allerdings sollten diese Bedenken die Betriebe nicht davor zurückschrecken lassen, auch Abiturienten auszubilden. Viele kommen nach einem abgeschlossenen Studium zurück in ihren ehemaligen Ausbildungsbetrieb und bringen dann Qualifikationen mit, die gebraucht werden. Gerade in unserer Region haben viele Betriebe heute fünfzig, hundert und mehr Mitarbeiter. Dort werden in vielen Bereichen auch höher qualifizierte Mitarbeiter benötigt.
Ich appelliere an die Betriebe, in diesem Punkt etwas mutiger zu sein und die Zeit der Ausbildung zu nutzen, um ihren Azubis die Vorzüge ihres Betriebs und einer möglichen Weiterbeschäftigung aufzuzeigen.
Interview mit Klaus Wahlbrink, stellvertretender Schulleiter des Greselius-Gymnasiums Bramsche
Herr Wahlbrink, im vergangenen Jahr haben Sie zum ersten Mal eine „GenerationenWerkstatt“ am Greselius-Gymnasium angeboten. Was waren Ihre Erwartungen?
Ich hatte bei der Veranstaltung „Berufsorientierung an Gymnasien“ im Kreishaus zum ersten Mal von der „GenerationenWerkstatt“ gehört. Damals hatte ich den Eindruck, dass sich dieses Projekt vor allem an Schüler richtet, die begrenzte Erfolgsaussichten in ihrer schulischen Laufbahn haben, die lustlos und schwer zu motivieren sind. Den Versuch eines solchen bildungspolitisch begründeten „Resteprojekts“ finde ich aus pädagogischer Sicht problematisch, deshalb war ich zu Beginn skeptisch bis distanziert. In der Tat ist die „GenerationenWerkstatt“ aber ein sehr lohnenswertes Projekt, das den Schülern die Möglichkeit gibt, praktische Erfahrungen zu sammeln und sich beruflich zu orientieren. Durch die gute, qualitativ hochwertige Betreuung der Schüler geht das Projekt weit darüber hinaus, was das allgemeine Betriebspraktikum bieten kann.
Welche Schüler haben Sie für das Projekt ausgewählt?
Ich habe die Schüler gar nicht ausgewählt, sondern das Projekt in allen Klassen vorgestellt, mit allen Chancen und Potenzialen, aber auch allen Belastungen, die damit einhergehen. Die Schüler haben sich freiwillig dafür gemeldet. Es waren stärkere und schwächere Schüler dabei, alles sehr nette und motivierte Jungs, die keineswegs auf dem Absprung sind, sondern sicher ihr Abitur bei uns machen werden.
Welche Erfahrungen haben Sie im Projekt gemacht und wie waren die Reaktionen von Schülern und Eltern?
Ich war positiv überrascht, dass die Ursachenstiftung mit emt automation so ein tolles Unternehmen für unsere Schüler gefunden hat. Der Betreuer Dieter Behnken war ein großer Gewinn für das Projekt. Ich denke, dass darin überhaupt das Erfolgsgeheimnis der „GenerationenWerkstatt“ liegt: Es steht und fällt mit den Personen, die sich um die Jungen kümmern. Wenn ein Betreuer unsympathisch ist oder schroff reagiert, sind Neuntklässler schnell verschreckt. Mit Herrn Behnken bei emt lief alles spitze: Er hat sich gut mit den Jungen verstanden und war absolut verlässlich. Die Kommunikation mit uns in der Schule funktionierte wunderbar, und nach den ersten beiden Terminen in der Werkstatt wurde das Projekt quasi zum Selbstläufer. Die Schüler berichteten, dass es ihnen in der Werkstatt gefalle und sie sich gut mit ihrem Betreuer verstehen.
Das Abitur beurkundet die „allgemeine Hochschulreife“. Warum sollte ein Abiturient eine Ausbildung machen, wenn er an die Uni gehen kann?
Nach dem Abitur gibt es viele mögliche Perspektiven. Ich gehe davon aus, dass viele unserer Schüler auch ins Handwerk oder in die Industrie gehen werden. Es ist nicht so, dass die Mehrheit direkt ins Studium einsteigt. Duale Ausbildungsgänge werden immer attraktiver. Unserer Erfahrung nach absolvieren viele zunächst eine Ausbildung und gehen danach an eine Fachhochschule. Unsere Schüler in Bramsche haben einen durchaus realistischen Blick auf die Arbeitswelt und sehen sich nicht alle in Büros und akademischen Tätigkeiten, sondern durchaus auch in praktischen Berufen. Gerade die Jungs natürlich, aber auch viele von den Mädchen. Auch kaufmännische und soziale Berufsausbildungen sind gefragt. Viele überlegen sich dann erst im Anschluss daran, ob sie ein Studium an einer Berufs- oder Verwaltungsakademie oder auch an einer Universität anschließen wollen. Eine duale Ausbildung lohnt sich in jedem Fall: Eine Tischlerlehre etwa kann einen Abiturienten ein wenig erden und ihn sehr gut vorbereiten auf ein Architektur- oder Ingenieur-Studium. Wir motivieren unsere Schüler, in die Breite zu denken und nicht nur zu schauen, was sie nach dem Abitur studieren können.
Interviews: Regine Hoffmeister, Pressereferentin der Ursachenstiftung
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