Er hat die Ursachenstiftung 2008 gegründet: der ehemalige Meller Unternehmer Johannes Rahe. Auch heute sitzt der 79-Jährige noch im Vorstand, gemeinsam mit seinem Stellvertre-ter Klaus Stein (59).
Seit mehr als zehn Jahren gibt es auch das Projekt „Generationen-Werkstatt“.
Warum Rahe, der nach einer Ausbildung zum Landmaschinentechniker später das Unternehmen Cool-It-Isoliersystem gründete, die Nachwuchsförderung besonders am Herzen liegt, beschreibt er im Interview so: „Das liegt ein bisschen daran, dass ich vaterlos groß geworden bin. Ich sehe an meinen Enkelkindern, wie viel ich ihnen mitgeben kann. Das kann ich auch bei anderen.
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Zur Generationen-Werkstatt
Mehr als 1000 junge Menschen aus Stadt und Landkreis Osnabrück haben bis heute an der Generationen-Werkstatt teilgenommen. Dabei kooperiert die Ursachenstiftung mit über 100 Firmen und mehr als 50 Schulen im Bezirk der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim.
Alleine im ersten Halbjahr dieses Jahres hat die Osnabrücker Stiftung 32 Projekte durchgeführt – mittlerweile nicht mehr nur in Osnabrück und umzu, sondern auch im Emsland
Im Interview sprechen Rahe und Stein über ihren Blick auf „die Jugend“, Ausbildung und Förderung – von Mädchen, aber eben auch von Jungen.
Das ganze Interview:
Herr Rahe, warum liegt Ihnen die Nachwuchsförderung so am Herzen?
Das liegt ein bisschen daran, dass ich vaterlos groß geworden bin. Ich sehe an meinen Enkelkindern, wie viel ich ihnen mitgeben kann. Das kann ich auch bei anderen. Oftmals ist heute das Elternhaus nicht so präsent, manche Kinder haben wenig Support, bekommen keine Grenzen gesetzt. Mit den Projekten der Ursachenstiftung wollen wir Perspektiven aufzuzeigen.
Zu Ihrer Zeit hat sich die Frage nach Berufsorientierung noch gar nicht gestellt.
Rahe: Überhaupt nicht. Wir hatten eine kleine Landwirtschaft und ich sollte Landwirt werden. Das wäre ich auch gerne geworden, denn ich bin naturverbunden. Ich hatte aber erkannt, dass das für mich nicht alles ist. Ein Bruder meiner Mutter war für mich eine Art Vaterersatz und der hat mir eine Lehrstelle besorgt.
Wo haben Sie Ihre Ausbildung gemacht?
Rahe: Bei der Firma Heidenescher in Wellingholzhausen als Landmaschinenmechaniker. Später habe ich in Osnabrück mein Technikum absolviert und bin dann zum Rabe-Werk gewechselt, die haben Pflüge und Bodenbearbeitungsgeräte produziert, bevor ich selbst Unternehmer geworden bin.
Heutzutage haben junge Menschen eine unheimliche Auswahl an Ausbildungsberufen und viele wissen dennoch nicht, was sie einmal machen wollen…
Rahe: … Das ist erschreckend. Wir haben mal eine Befragung an allen weiterführenden Schulen in Melle machen lassen, da lag der Anteil derer, die nicht wissen, was sie werden wollen, bei 40 Prozent.
Der jungen Generation wird oft vorgeworfen, faul und nicht mehr leistungswillig zu sein. Wie erleben Sie das in Ihren Projekten?
Rahe: „Diese faule Generation“ – sowas mag ich gar nicht hören. Die überwiegende Zahl unserer Projekte sind freiwillig und laufen nachmittags – also in der Freizeit. Und wenn sie nicht fertig werden, auch samstags. Dann sagen wir: faule Jugend? Das lasse ich so nicht stehen. Man muss differenzieren. Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass Leistung heute einen anderen Stellenwert hat.
„Leistungsgedanke ist an vielen Stellen verloren gegangen“
Wie meinen Sie das?
Stein: Der Leistungsgedanke, und damit auch ein Wettbewerb, ist an vielen Stellen verloren gegangen. Es ist nicht hilfreich, keine Noten zu vergeben, oder im Sport den Wettkampf abzuschaffen. Da fehlt die Orientierung. Klar, nicht jeder ist gut im Sport, aber grundsätzlich gilt: An Herausforderungen wächst man.
Rahe: Statt über leistungsunwillige Schüler zu lamentieren, müsste die Frage doch sein: Was muss man tun, damit die Leistungsbereitschaft da ist? Denn es gibt sie, das sehen wir in den Projekten.
Schauen wir aufs Handwerk, dort sind Ihre Projekte verankert…
Rahe: … Richtig, auch das hat nicht den Stellenwert in unserer Gesellschaft, den es einmal hatte und den es verdient. Handwerk hat sich in den letzten Jahren gewandelt, man macht sich nicht nur schmutzig und malocht viel – auch wenn natürlich hart gearbeitet wird. Da ist Hightech angekommen. Das müssen wir schaffen, rüberzubringen. Viele Eltern sind immer noch skeptisch und sie sind für die Berufsorientierung ihrer Kinder maßgeblich. Wenn sie denn da sind.
Der Versuch, etwas gegen das schlechte Image zu unternehmen, ist nicht neu...
Stein: … Das stimmt und es hat sich auch was getan, vor allem in den Gymnasien. Es gibt Schüler, die andere Talente haben als einen akademischen Weg einzuschlagen. Auch diese Kinder müssen frühzeitig sehen, dass es eine vollwertige Alternative zum Studium gibt. Da wären wir wieder bei den Eltern.
Rahe: Der Wunsch, dass die Kinder es einmal besser haben sollten als man selbst, hat viel damit zu tun, nicht mit den Händen arbeiten zu müssen, sondern im Büro zu sein. Dabei haben Eltern vergessen, wie erfüllend es sein kann, etwas mit den Händen zu schaffen. Da müssen wir wieder hinkommen.
Rahe: Etwas mit den Händen zu schaffen ist erfüllend
Wie war das mit Ihren Kindern, Herr Rahe?
Rahe: Ich habe eine Tochter, die einen ganz anderen Berufsweg eingeschlagen hat und Lehrerin geworden ist. Sie war einige Zeit in meiner Firma tätig, aber das war nichts für sie. Das ist auch in Ordnung so. Als ich ausgeschieden bin, wollte ich noch mal mit etwas durchstarten, was der Gesellschaft weiterhilft.
Was heißt das konkret?
Rahe: Unsere erste Zielgruppe war eine Gruppe, die wir als „verlorene Jungs“ bezeichnen. Sie drohen, ohne Schulabschluss die Schule zu verlassen. Die Jungs von heute sind aber die Männer, Väter, Vorbilder von morgen. Sie zu erreichen, zu motivieren, war die Idee. In gewisser Weise sind Jungen heute die Bildungsverlierer der Gesellschaft.
Wie meinen Sie das? Weil der Fokus zu sehr auf der Förderung von Mädchen liegt?
Rahe: Nein, das ist es nicht. Es sind auch nicht alle Jungs, aber es gibt eine Gruppe, die im Bildungssystem nicht abgeholt wird. Vielleicht, weil die männliche Bezugsperson sowohl in Kita und Schule als auch im Elternhaus fehlt. Die wollten wir abholen.
Welche Erfahrungen machen Sie mit der Generationenwerkstatt?
Stein: In den Projekten werden diese Jungs wahrgenommen, statt durchs Raster zu fallen. Sie haben jemanden, der sie unter ihre Fittiche nimmt, Zeit hat, Wertschätzung schenkt. Das schafft positive Erlebnisse und die Jugendlichen entdecken an sich Fähigkeiten, die sie gar nicht kannten. Es ist toll zu sehen, wie sie am Ende selbstbewusst und stolz ihr Werkstück präsentieren. Und sie merken vielleicht auch, dass Mathe gar nicht so ein trockenes Fach ist, wenn sie beispielsweise Winkel berechnen müssen.
Dennoch – ist der Fokus auf Jungs nicht etwas antiquiert?
Stein: Wir haben die eine oder andere Schule als Partner deshalb verloren und manche haben uns als gestrig gesehen. Dass wir uns jetzt auch reinen Mädchen-Projekten geöffnet haben, dazu sind wir auch ein bisschen gedrängt worden.
Das klingt ein bisschen unfreiwillig.
Rahe: Keineswegs, und die Kritik war gerechtfertigt! Aber irgendwo muss man anfangen. Die Jungs haben und hatten eine Förderung nötig. Was nicht heißt, dass Mädchen in der Vergangenheit nicht auch vereinzelt teilgenommen haben. Jetzt gibt es auch die ersten reinen Mädchen-Projekte. Und das auch im Emsland, wo wir jetzt als Stiftung auch aktiv sind.
Wenn Sie die Ausbildung früher und heute vergleichen – was ist die größte Veränderung?
Rahe: Zu meiner Lehrzeit wurde uns noch gesagt, wo es langgeht. Heute ist der Auszubilden-de jemand, der schon Ansprüche stellt. Und es sind ruckzuck die Eltern da. Das ist der große Unterschied. Das gilt aber nicht nur für die Ausbildung, sondern auch für die Schullaufbahn. Und wir mussten auch noch samstags arbeiten.
Stein: Früher war nicht alles gut, aber die Verbindlichkeit war eine andere. Das fehlt heute manchmal, finde ich.
Ein Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung, NOZ von Nina Kallmeier vom 10.07.2024
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